Der vergrabene Schatz vom Wienerwald

Der Schatz der Liebenden

In der Zeit der Türkenkriege haben die Osmanen zwei Sooßer von den wenigen am Leben Gebliebenen mitgenommen in die Sklaverei, einen Burschen und eine Dirne. Aber sie sind jedes mit einem anderen Trupp fortgetrieben worden und beide haben voneinander nichts gewußt. Nach drei Jahren treffen sie sich aber eines Tages in Konstantinopel an einem Brunnen; doch sie erkennen sich nicht in ihrer Veränderung und in ihrer türkischen Tracht. Der Bursche schaut aber doch unverwandt auf die saubere Dirne – er weiß selber nicht recht warum, und redet sie deutsch an. Wie sie ihm darauf deutsch – und auch dazu nieder-österreichisch-deutsch antwortet, schreit er auf: „Bist du am End‘ gar die Liesel von Sooß ?!“ – „Ja, ich bins!“ ruft vor Freud‘ außer sich die Liesel – „und du bist der Sooßer Franz“. Welche Überraschung, welche unbeschreibliche Lust!

Die zwei machten nun klugerweise kein weiteres Aufsehen, kamen öfter heimlich zusammen und verabredeten bald ihre gemeinschaftliche Flucht. Sie bewerkstelligten dieselbe auch ganz glücklich, hatten sich von Tag zu Tag lieber und versprachen sich das Heiraten, wozu ihnen, wie der Franz freudig erklärte, die 900 Gulden verhelfen sollten, die er nach der erbarmungslosen Ermordung seiner Eltern durch die Türken vor seiner Abführung in die Gefangenschaft am Kaltenberg bei Sooß vergraben.

Die Flucht, zu welcher sie sich – ohne viel an ihr Gewissen zu denken – einige Mittel verschafft hatten, ging soweit gut vonstatten; aber in Ungarn wurde der Franz vom Fieber befallen und – wie groß war der Liesel Schmerz – er wurde immer schlechter und schlechter und nach neun Tagen war er tot. Das arme Geschöpf ist richtig nach Sooß gekommen, hat mit Leid und Freud‘ ihr Schicksal erzählt und hat auch erzählt vom toten Franz und vom vergrabenen Geld. Aber sie wußte nicht den Platz, wo das viele Geld vergraben war und so war alles Suchen danach umsonst. Und das Geld liegt heute noch dort. – Manche meinen, es liegt im „Schelmenloch“. – – 

Quelle: Carl Calliano, Niederösterreichischer Sagenschatz, Wien 1924, Band I, S. 20